
Verfügt die Regierung eines Landes nicht über die absolute Mehrheit der Parlamentssitze, spricht man von einer Minderheitsregierung. Um dennoch Abstimmungen erfolgreich durchführen zu können, muss die Minderheitsregierung vor jeder Abstimmung Mehrheiten organisieren, indem sie Kontakt mit anderen Parteien aufnimmt und anlassbezogene Koalitionen bildet.
Auch wenn die Minderheitsregierung laut deutscher Verfassung möglich ist, bleibt es eine seltene Regierungsvariante. Besteht die Möglichkeit einer Mehrheitsregierung, wird diese immer durch Koalitionsverhandlungen angestrebt.
Wie entsteht eine Minderheitsregierung?
Eine Minderheitsregierung entsteht typischerweise in Situationen, in denen eine feste Regierungsmehrheit nicht zustande kommt. Dafür gibt es mehrere Gründe:
Nach einer Wahl
Erlangt keine Partei die absolute Mehrheit der Sitze und findet keinen geeigneten Koalitionspartner, kann eine Minderheitsregierung gebildet werden.
Scheitern einer bestehenden KoalitionEine Koalition ist ein Zusammenschluss von zwei oder mehr politischen Parteien mit dem Ziel, gemeinsam eine Regierung zu bilden.
Nach dem Scheitern einer bestehenden Koalition kann die Regierung durch die verbliebene Partei als Minderheitsregierung fortgeführt werden.
Bewusste Entscheidung
Für mehr Flexibilität mit unterschiedlichen Koalitionspartnern kann eine Minderheitsregierung auch bewusst geführt werden. Hierbei werden je nach Themengebiet wechselnde Koalitionspartner gesucht.
In Deutschland ist die Wahl eines Bundeskanzlers oder Ministerpräsidenten mit relativer Mehrheit möglich, was die Bildung einer Minderheitsregierung erleichtern kann.
Chancen und Vorteile einer Minderheitsregierung
Trotz der Herausforderungen bietet eine Minderheitsregierung auch viele Chancen. Sie kann das politische System beleben und gleichzeitig zu mehr Zusammenarbeit im Parlament führen, da es zwangsläufig mehr Absprachen zwischen politischen Richtungen geben muss:
Flexibilität
Eine Minderheitsregierung ist nicht an einen festen Koalitionsvertrag gebunden und kann je nach politischem Thema flexibel Mehrheiten suchen.
Stärkung des Parlaments
Da die Regierung keine automatische Mehrheit besitzt, wird das Parlament als Gesetzgeber gestärkt. Jede Entscheidung erfordert echte Aushandlung und Überzeugungsarbeit.
Förderung von Kompromissen
Minderheitsregierungen zwingen politische Akteure dazu, über Parteigrenzen hinweg zusammenzuarbeiten und tragfähige Lösungen zu finden. Das kann zu ausgewogeneren politischen Entscheidungen führen.
Gerade in einer Zeit, in der die politische Landschaft vielfältiger und differenzierter wird, können diese Vorteile an Bedeutung gewinnen.
Herausforderungen und Risiken
Eine Minderheitsregierung birgt auch ernstzunehmende Risiken. Sie kann politische Prozesse verlangsamen und für Instabilität sorgen:
Instabilität
Minderheitsregierungen sind anfälliger für Misstrauensvoten oder plötzliche politische Krisen, da sie jederzeit die Unterstützung des Parlaments verlieren können.
Verzögerungen
Gesetzgebungsprozesse dauern oft länger, da für jede einzelne Abstimmung neue Partner gefunden und Verhandlungen geführt werden müssen.
Abhängigkeit von der OppositionAls Opposition werden in parlamentarischen Demokratien alle Parteien und Abgeordnete bezeichnet, die nicht Teil der amtierenden Regierung sind. Das Aufgabengebiet der Opposition versteht sich in der Kontrolle der Regierung, dem Vorzeigen von Alternativen sowie dem Führen politischer Debatten mit der Regierung.
Minderheitsregierungen sind darauf angewiesen, regelmäßig Unterstützung bei Oppositionsparteien zu suchen. Diese können ihre Zustimmung an weitreichende Zugeständnisse knüpfen, was die Regierung inhaltlich unter Druck setzt.
Diese Herausforderungen erfordern von der Regierung besonders geschicktes Verhandeln und strategisches Vorgehen.
Minderheitsregierungen in Deutschland – Beispiele
In Deutschland gibt es trotz der dominierenden Kultur von Mehrheitskoalitionen einige interessante Beispiele für Minderheitsregierungen:
Schleswig-Holstein (2005–2009)
Der Ministerpräsident Peter Harry Carstensen von der CDU regierte nach dem Scheitern der großen Koalition alleine mit seiner CDU als Minderheitsregierung weiter.
Sachsen-Anhalt (1994–2002)
Die SPD regierte acht Jahre lang als Minderheitsregierung, gestützt durch die PDS im sogenannten “Magdeburger Modell”. Dieses Modell gilt heute als bekanntes Beispiel für eine funktionierende Tolerierung.
Auf Bundesebene wurde bisher noch keine dauerhafte Minderheitsregierung gebildet. Die Diskussion darüber gewann jedoch nach der Bundestagswahl 2017 an Bedeutung, als die Bildung einer stabilen Mehrheit schwierig war.